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Ohne Großtiere wird die Erde karg

External Reference/Copyright
Issue date: 
13.08.2013
Publisher Name: 
Die Presse
Publisher-Link: 
http://www.greenwood-management.com
Author: 
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Amazonien sieht nur so aus wie ein Paradies. In Wahrheit ist es eine „grüne Wüste“ mit kargen Böden, aus denen die Biomasse kaum Nährstoffe ziehen kann. Die sind stattdessen in ständiger Zirkulation – neue Pflanzen gedeihen dort, wo alte verrotten –, und Nachschub kommt nur von weit her, von sehr weit, mit starken Winden aus der Sahara. Deshalb gibt es in Amazonien auch wenige Tiere, vor allem wenige, die der „Megafauna“ angehören, dazu zählt man alles über 44 Kilo.

Oder ist es gerade umgekehrt? Ist Amazonien – abseits der großen Flüsse – so nährstoffarm, weil es keine Megafauna mehr gibt? Die gab es einmal, verschiedenste Elefanten, Faultiere und Gürteltiere groß wie Kleinbusse und Pkw etc., im Durchschnitt brachte jedes Individuum über eine Tonne auf die Waage. Aber vor etwa 12.000 Jahren verschwanden sie, 64 Arten, nur im Norden des Doppelkontinents ging es zur gleichen Zeit noch ärger zu, 65 Arten der Megafauna gingen. Vermutlich wurden sie gegangen, im Norden wie im Süden, ein anderes Mitglied der Megafauna war gekommen, der Mensch mit seinen Jagdwaffen. Er machte den anderen Großen den Garaus – durch rasche Ausrottung („Blitzkrieg“) oder Veränderung der Habitate („Sitzkrieg“) –, zudem spielte wohl das Klima mit.

Die Großen machen auch beim Klima mit

Aber das wurde auch vom Massensterben modifiziert: Große Graser halten Wälder klein – jeder Elefant in Afrika reißt im Jahr 1500 Bäumchen aus dem Boden –, und wenn sie nicht mehr klein gehalten werden, überwuchern sie die Savannen, und die Albedo ändert sich, das ist das Maß dafür, wie viel Sonnenlicht absorbiert/reflektiert wird. Deshalb haben sich in Nordamerika durch das Verschwinden der Megafauna – vor allem der Mammuts – die Temperaturen um bis zu einem Grad erhöht, das kalkulierte Christopher Doughty (Stanford), und er sah darin den ersten Eingriff des Menschen in das Klima, der zweite kam vor 11.000 Jahren mit der Landwirtschaft und ihren Rodungen (Geophysical Research Letters, 37, LI5703).

Immerhin, manche Große hielten sich in Nordamerika, vor allem die Bisons und Karibus, beide wandern weit. In Südamerika blieb nichts Vergleichbares, das machte zunächst den Pflanzen zu schaffen, die zur Verbreitung ihrer Samen die Megafauna brauchten, sie hatten sich auf sie eingespielt, Daniel Janzen und Paul Martin haben es gezeigt (Science, 251, S.19). Aber die Megafauna verbreitet nicht nur Pflanzen, sie nährt sie auch, trägt Nährstoffe mit sich herum, frisst da und setzt dort ihre Fäkalien ab, frisst in der Jugend da und stirbt im Alter dort, dann wird langsam aus den verwesenden Kadavern etwa der Phosphor wieder freigesetzt, der einst weitab in die Knochen eingebaut wurde. Und Megafauna schweift, anders als kleines Getier, weit herum.

Diesen Zusammenhang ruft nun wieder Doughty in Erinnerung, er sieht in ihm – bzw. eben im Ausfall der Megafauna – die Ursache für die Nährstoffarmut der Böden Amazoniens, und er hat alles am Beispiel von Phosphor durchkalkuliert. Denn den und die anderen Nährstoffe gibt es durchaus in Südamerika, und zwar viel mehr, als mit dem Staub aus der Sahara kommt. Aber diese Nährstoffe liegen in den Anden, und von dort müssen sie erst in die Weiten des Ostens transportiert werden. Dafür sorgen die Flüsse, in ihnen gedeiht Leben, an ihren Ufern auch. Aber von dort transportiert niemand mehr den Phosphor weiter.

Früher hatten das die großen Tiere getan. Und wie: Durch das Verschwinden der Megafauna „verringerte sich das durchschnittliche Gewicht aller Tiere mit über zehn Kilo in Südamerika von 843 auf 81 Kilogramm. Wir schätzen, dass sich damit der Aktionsradius jedes Tiers von 61,8 auf 4,8 Quadratkilometer reduzierte. Die durchschnittliche Verweildauer von Futter im Körper sank um 46Prozent, die Lebensdauer um 33Prozent, und die durchschnittliche Distanz zwischen Futteraufnahme und Absetzen der Fäkalien verringerte sich um sieben Kilometer, von 9,1 auf 2,1.“ So kalkuliert Doughty alles durch, und ganz am Ende seiner Bilanz sieht er heute gerade noch zwei Prozent des Phosphors in Amazonien verteilt, den einst die Megafauna herumtrug: „Die Region hat ihre Nahrungs-,Arterien‘ verloren, das Ökosystem ist nicht mehr so verbunden, wie es war“, schließt Doughty (Nature Geoscience, 11.8.).

 

„Biologische Pumpe“ kommt zum Erliegen

„Offenkundig sollte man die exakten Zahlen mit Vorsicht betrachten“, erklärt Tangue Daufresne (Montpellier) in einem Begleitkommentar, „aber die Größenordnung stimmt, daran herrscht kein Zweifel.“ Auch daran nicht, dass die „biologische Pumpe“ der Megafauna auf den anderen Kontinenten ebenfalls durch Aktivitäten des Menschen weithin zum Erliegen gekommen ist – letzte Ausnahme: Afrika –, sie funktioniert nur noch in den Meeren, wo die Wale Nährstoffe aus den Tiefen nach oben verfrachten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2013)

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