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Eine kluge Forstwirtschaft könnte Deutschlands CO2-Ausstoß deutlich senken

Wie riesenhafte Mikadostäbchen liegen abgestorbene Äste und umgefallene Stämme quer übereinander. Freunde der Wildnis können im Hasbruch, einem Forst vor den Toren Bremens, einen deutschen Urwald erkunden. Vor 120 Jahren hat Großherzog Peter II. einen Teil des Hasbruchs unter Schutz gestellt, seither darf dort der Wald ungehindert vor sich hin wuchern.

Was allerdings Naturliebhaber freut, ist für den Klimaschutz wenig hilfreich. Denn die Kohlendioxid-Bilanz in diesem Teil des Waldes ist ein mageres Nullsummenspiel: Die Bäume, die hier wachsen, entziehen der Atmosphäre bei der Photosynthese genau die gleiche Menge CO2, die im Zersetzungsprozess der toten Äste, Stämme und Wurzeln am Boden wieder freigesetzt wird. Das Holz ist kein End-, sondern nur ein Zwischenlager des Treibhausgases.

Ganz anders sind die Verhältnisse im Rest des 630 Hektar großen Hasbruch. Dort werden alle Regeln der forstwirtschaftlichen Kunst angewendet. »Jedes Jahr wachsen hier 4500 Festmeter Holzmasse nach«, erklärt Jens Meier, der Revierförster. Nur ein knappes Drittel dieser Menge lässt er als Totholz liegen, gerade genug, um die Humusschicht im Boden zu erneuern. Gut 3000 Festmeter werden gefällt und verkauft. »Daraus entstehen Dachstühle, Möbel oder Papier, so bleibt der im Holz enthaltene Kohlenstoff gebunden und gelangt über lange Zeit nicht zurück in die Atmosphäre.«

Für das Weltklima ist das gut, für das menschliche Klima vor Ort eher problematisch. »Die Leute protestieren gegen jeden Baum, den wir hier fällen«, klagt der Förster, »ich muss unheimlich viel Aufklärungsarbeit leisten.« In der Bevölkerung sei die Annahme weit verbreitet, dass der beste Wald einer sei, den man in Ruhe lasse. Für den Artenschutz mag das manchmal stimmen, für die Treibhausbilanz ist genau das Gegenteil der Fall. Das beste Rezept für einen Beitrag zum Klimaschutz lautet: Den Wald erhalten und gleichzeitig so viel Holz wie möglich ernten und verwenden.

Auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen ist der Wald eines der wichtigsten Themen. Vor allem die Abholzung tropischer Regenwälder bereitet den Experten Sorge. Denn die Regenwälder mit ihren gigantischen Baumriesen speichern so viel Biomasse, dass ein Kahlschlag verheerende Folgen hat: Durch Rodung der Regenwälder zugunsten von Viehweiden oder Sojaplantagen entstehen etwa ein Sechstel aller Treibhausgasemissionen weltweit.

Doch nicht überall auf der Welt ist Bäumefällen ein Frevel. Die nachhaltige Nutzung von Wäldern birgt sogar ein großes Klimaschutzpotenzial. Allein Deutschland könnte durch kluge Forstwirtschaft seinen CO2-Ausstoß um 24 Millionen Tonnen im Jahr senken, hat ein Forschungsprojekt am Institut für Weltforstwirtschaft an der Uni Hamburg ergeben. Das entspricht ungefähr der Belastung durch den Flugverkehr in und aus Deutschland.

In diesen Zahlen ist noch gar nicht berücksichtigt, dass jeder gefällte Baum in verschiedenen Produkten mehrfach hintereinander verwendet werden und dabei jedes Mal nicht erneuerbare Energie aus fossiler Quelle ersetzen kann. »Die Herstellung eines Holzfensters verbraucht nur ein Vierzigstel der Energie, die für ein Fenster aus Aluminium benötigt wird«, rechnet Bernhard Kenter, Koordinator des Forschungsprojekts, vor.

Am Ende seiner Lebenszeit wird das Holzfenster geschreddert und zum Beispiel zu einer Pressspanplatte weiterverarbeitet. Wenn auch die ausgedient hat, kann sie in einem Heizkraftwerk zur Strom- und Wärmeerzeugung verfeuert werden. Am Ende dieser »Kaskadennutzung« hat sich die CO2-Einsparung vervielfacht.

Schaut man einem modernen Holzfäller bei der Arbeit zu, kann man sich das kaum vorstellen. Denn wenn Peter Karlsson mit seinem sogenannten Harvester zum Bäumefällen anrückt, wird reichlich Diesel verbrannt. »Wer so eine Maschine bedienen kann, kommt auch locker mit einem Hubschrauber klar«, witzelt der Ein-Mann-Unternehmer aus Schweden.

Gerade lichtet er einen Wald im südnorwegischen Moss. Mit dem Greifarm seines tonnenschweren Geräts packt er eine ausgewachsene Fichte und lässt die an der Spitze integrierte Kettensäge aufheulen. Dann schwingt er den Stamm über einen Holzstapel, entastet und zerteilt ihn in vier Meter lange Stücke. Das Ganze dauert keine 30 Sekunden. »Mein Bordcomputer speichert alle Daten über die geerntete Menge und Qualität und überträgt sie am Abend automatisch an die Eigentümer-Kooperative«, erklärt Karlsson.

Solche Harvester übernehmen auch in Deutschland zunehmend die Holzernte, doch nirgendwo ist die Technik so weit entwickelt wie in Skandinavien. 350.000 Euro hat Karlssons Maschine gekostet, auch die Organisation von Abtransport und Weiterverteilung der Holzstapel und die Abrechnung sind automatisiert.

Den besten Preis erzielen dicke Kiefernstämme für die Möbelindustrie. Aber ein großer Teil der Fichten landet in der wenige Kilometer entfernten Zellstoff- und Wellpappen-Fabrik Peterson. »Jede Tonne Holz, die bei uns angeliefert wird, bindet 1,9 Tonnen CO2«, erklärt Vertriebschef Jörg Braun, »in einer Tonne Papier, die wir daraus erzeugen, steckt noch immer 70 Prozent dieser Menge.« Und damit mehr, als im gesamten Produktionsprozess vom Fällen der Bäume bis zur fertigen Wellpappe erzeugt wird. »CO2-mäßig können wir ein ruhiges Gewissen haben.« Auch deshalb, weil die Herstellung konkurrierender Verpackungsmaterialien aus Kunststoff große Mengen Erdöl verbraucht.

In den weltweiten Klimamodellen und -abkommen sind die positiven Effekte aus der mehrfachen Verwendung des nachwachsenden Rohstoffs Holz aber nicht berücksichtigt. Mehr noch, die Industrieländer werden sogar dafür belohnt, wenn sie das große CO2-Sparpotenzial brachliegen lassen. »Bisher geht das geerntete Holz einfach als Emission in die Klimabilanz ein«, klagt Karsten Dunger – egal, ob der nachwachsende Rohstoff sinnvoll genutzt werde oder nicht.

Im Bundesinstitut für Waldökologie und Waldinventuren in Eberswalde stellt Dunger jedes Jahr die zehnseitige Tabelle zusammen, die Deutschland im Rahmen des Kyoto-Protokolls zur Treibhausbilanz des Waldes an die Vereinten Nationen schicken muss. Noch sieht sie – auch ohne Berücksichtigung der Holzernte – ganz gut aus. Seit 1990 hat die Zahl der Bäume leicht zugenommen, fast 32 Prozent unseres Landes sind von Wald bedeckt, etwas mehr als der Weltdurchschnitt. Mit 3,4 Milliarden Kubikmetern lebendiger Holzmasse ist Deutschland sogar Spitzenreiter in Europa.

»Doch in einigen Jahren werden wir statt einer Kohlenstoffsenke eine -quelle melden müssen«, warnt der Waldfachmann. Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in Deutschland viel Holz für den Wiederaufbau und als Reparationsleistung geschlagen. Anschließend hat man im großen Stil aufgeforstet.

Jetzt, 50 bis 60 Jahre später, sind die damals gepflanzten Bäume reif für das Sägewerk. Den gleichen Effekt gibt es auch in anderen europäischen Ländern. Die reiche Holzernte, die wir unseren Vorfahren verdanken, könnte nun die Atmosphäre entlasten. Doch nach den bisher geltenden Regeln gilt Bäumefällen als Emission – und belastet damit unsere offizielle Klimabilanz.

Diesen Widerspruch könnte ein neues Abkommen in Kopenhagen beseitigen. Es müsste die Nutzung von Holz als Beitrag zum Klimaschutz honorieren – ohne für die Kontrolle eine gewaltige neue Bürokratie zu schaffen.

Unabhängig davon bleibt die Frage nach den Auswirkungen des bereits begonnenen Klimawandels auf den Wald selbst. »Bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad werden sie mutmaßlich noch vergleichsweise gering bleiben«, sagt der Dresdener Bodenkundler Franz Makeschin vorsichtig. Einerseits düngt ein höherer Kohlenstoffanteil in der Atmosphäre die Bäume und führt somit zu einer Zunahme der Holzmenge pro Hektar. Andererseits beschleunigen höhere Temperaturen die Zersetzung des Kohlenstoffs im Waldboden. In der Bilanz könnten sich beide Effekte vorerst ausgleichen.

Und noch eine Frage muss beantwortet werden: Wie steht es mit dem Naturerlebnis? Finden wir einen klimaverträglich bewirtschafteten Wald überhaupt noch schön? Das lässt sich bei einem Ausflug in den Hasbruch leicht beantworten. Mitten im Urwald steht dort die Friederikeneiche, mit 1200 Jahren angeblich der älteste Waldbaum Deutschlands.

Doch sie ist auch die Ausnahme der Regel. »Im Naturwald werden die jungen Eichen von Hainbuchen überwachsen und wirklich umgebracht«, sagt Revierförster Meier. Im Wirtschaftswald nebenan hält er dagegen 400 Hektar für Eichen frei. »Das ist ein absolut künstliches Gebilde«, sagt er, »aber ich finde es schöner – und die meisten Besucher finden das auch.«


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Issued by:  Die Zeit Online

Author:  Dirk Asendorpf

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Issue date: October 19, 2009

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