REDD: Das Rennen um den Tropenwald startet
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Minister aus 193 Ländern wollen beim COP 16, dem Weltklimagipfel in Cancún, eine wirksame Vereinbarung für die Zeit nach Ende des Kyoto-Vertrages 2012 finden. Ein Durchbruch ist nicht zu erwarten. Einzig bei REDD – dem Programm zum Schutz der Tropenwälder in ihrer Funktion als Kohlenstoffspeicher –, könnte es Fortschritte geben. Rettet REDD das Weltklima?
Guyana, nördlich von Brasilien, östlicher Nachbar von Venezuela, fast dreimal so groß wie Österreich, aber gerade einmal 750.000 Einwohner. Bisher ein blütenweißer Fleck auf der Landkarte des internationalen Interesses. Spätestens seit dem Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember des Vorjahres rückt die vormals britische Kolonie in den Fokus der internationalen Zusammenarbeit. Norwegen zum Beispiel investiert bis 2015 ingesamt 250 Mio. Dollar in den Karibik-Staat. Grund dafür sind jene rund 85 Prozent des Landes, die mit tropischem Regenwald bedeckt sind. Das Interesse für den bislang kaum genutzten Wald erwachte unter anderem wegen des Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation-Programms REDD.
Selbiges ist ein seit Jahren heiß diskutiertes Modell zum Erhalt von Tropenwald und zur Reduktion des CO2-Ausstoßes. Vielleicht das Schlüsselinstrument im Kampf gegen die Kohlendioxid-Emissionen. „Das wird letztlich einer der billigsten Wege sein, um die Klimaerwärmung zu stoppen“, ist William Laurance, Biologe am Smithsonian Tropical Research Institute, überzeugt.
Die globale Entwaldung ist mit 18 Prozent Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen zweitgrößter „Luftverschmutzer“ – nur die Energieerzeugung hat mit etwa einem Viertel des gesamten CO2-Ausstoßes einen noch größeren Anteil. Industrie, Transport und Landwirtschaft tragen je rund 14 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Die größten Treiber der Entwaldung sind Klein- und Subsistenzlandwirtschaft mit 42 Prozent, gefolgt von industrieller Landwirtschaft mit 32 Prozent. Die kommerzielle Holzwirtschaft trägt nur zu 14 Prozent zur Entwaldung bei. Der Rest entfällt auf Brennholz.
Schnelles Geld aus Kopenhagen
Der Klimagipfel im letzten Dezember in Kopenhagen wurde gemeinhin mit „enttäuschenden Ergebnissen“ etikettiert. Doch wurden den Entwicklungsländern von den Industriestaaten per „Fast Start Finance“-Abkommen bis zum Jahr 2012 immerhin 30 Mrd. Dollar für Maßnahmen zum verstärkten und sofortigen Kampf gegen den Klimawandel durch Schutz der Wälder zugesagt. „Fast Start Finance wird der Schlüssel zu einem Erfolg bei der Weltklimakonferenz in Cancún“, jubelte damals Christiana Figueres, Chefin des UN-Klimasekretariats UNFCCC.
Die Hoffungen, dass es beim Gipfel in Cancún Anfang Dezember 2010 zum Durchbruch bei der Rettung des Weltklimas für die Post-Kyoto-Zeit nach 2012 kommt, sind inzwischen abgekühlt. Doch das Rennen um die Tropenwälder ist mittlerweile in eine heiße Phase gekommen. Per September hat etwa Japan 15 Mrd. Dollar an „Fast Start Finance“-Geldern auf den Tisch gelegt, die USA haben 3,2 Mrd. zugesagt, auch Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Schweden, Finnland, Norwegen, die Schweiz sowie die Europäische Kommission sind an Bord.
„Sicher ist, dass es in den nächsten Jahrzehnten einen Run auf Biomasse geben wird, die Frage ist, ob es genügend Biomasse für die Projekte gibt“, beobachtet etwa Uwe Fölster, Leiter für Sustainable Development beim in über 35 Ländern agierenden Verpackungs- und Papierkonzern Mondi Group, aufmerksam den einsetzenden „Big Forest Grab“. Das offizielle Österreich hielt sich in Sachen REDD bislang nobel zurück.
Jagd auf die Tropenwälder
Bilaterale Forest Deals treiben seither die UN-Klimagespräche und die Verhandlungen über ein multilaterales Folgeabkommen, REDDplus, vor sich her. Finanzinstitutionen und Geberstaaten auf der einen und Länder mit tropischem Regenwald auf der anderen Seite basteln Kooperationen, meist als Vorgriff auf ein international verbindliches REDDplus-Modell. Letzteres sieht nicht wie REDD bloß die Unterschutzstellung des Tropenwaldes unter einen Glassturz vor, sondern auch dessen nachhaltige Bewirtschaftung unter Berücksichtigung der Interessen der indigenen Regenwald-Bewohner mit letztlich sogar verstärkter CO2-Reduzierung.
Das eingangs genannte Guyana etwa kassierte Anfang Oktober für seinen Tropenwald-Schutz via REDDplus-Vertrag eine erste Tranche von 30 Mio. Dollar aus Norwegen. Das Geld fließt konkret über den von der Weltbank verwalteten Guyana REDDplus Investment Fund GRIF und ist die erste REDDplus-Zahlung weltweit. Guyana verpflichtet sich dafür, seine 16 Mio. Hektar Regenwald nicht abzuholzen, will in saubere Energien investieren und den bisherigen Wald-Nutzern neue Job-Chancen verschaffen.
Die Norweger wiederum wollen bis 2015 nicht nur bis zu 250 Mio. Dollar in den GRIF einzahlen, abhängig vom Erfolg Guyanas bei der Vermeidung von Treibhausgasen und von der Transparenz des Forst-Managements auf einer Tropenwald-Fläche zweimal so groß wie Österreich. Die Skandinavier machen zudem für eine bis 2014 angepeilte REDDplus-Partnerschaft mit Indonesien gleich eine Milliarde Dollar locker. Weitere 142 Mio. Dollar aus Norwegen gehen etwa in den Amazon Fund in Brasilien, 28 Mio. in den Congo Basin Fund, 17 Mio. fließen nach Tansania.
Im Rahmen einer derartigen Partnerschaft wird im Tropenwald-Land zuerst einmal „Inventur“ gemacht: Das bedeutet Bäume zählen, die Kohlenstoff-Speichermenge des Waldes erheben, Strukturen zur Kontrolle und nachhaltigen Bewirtschaftung aufbauen, Landrechte am Wald klären. Was die Norweger können, kann man in Österreich schon lange, meint Markus Sommerauer. Der international erfahrene Forstwirt wickelte Projekte in Südosteuropa, Südafrika und China ab und war unter anderem auch als Uni-Assistent an der University of British Columbia im kanadischen Vancouver tätig. „Hierzulande betreibt man schon seit dem vorletzten Jahrhundert nachhaltige Forstwirtschaft. Wir sind sicher nicht schlechter als die Skandinavier oder die Angelsachsen, Österreich müsste sich international in Sachen REDDplus und nachhaltiger Waldwirtschaft mehr engagieren.“
Zertifikatehandel unklar
Laut Vereinten Nationen könnten die Entwicklungsländer jedes Jahr Milliarden Dollar durch Regenwaldschutz per REDD verdienen. Der Benefit für die Länder mit Tropenwald ist also klar. Doch was haben Norwegen und andere Länder davon? „Auf den ersten Blick nicht viel, außer dem Image, etwas für den globalen Klimaschutz zu tun und ihrer moralischen Verpflichtung als Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern nachzukommen. Dass allerdings auch handfeste wirtschaftliche Interessen auf beiden Seiten dahinterliegen, darf vermutet werden“, erläutert Sommerauer. Denn Industriestaaten oder die bei der Partnerschaft beteiligten Unternehmen erwerben jetzt via REDD-Partnerschaft Carbon Credits, der internationale Handel damit steckt aber noch in den Kinderschuhen.
„Ein globaler Markt für den Handel mit Regenwald-Zertifikaten unter einem UN-Schema wird frühestens in drei bis sieben Jahre funktionieren“, dämpft auch Dharsono Hartono, Chef des indonesischen Forstgiganten Rimba Makmur Utama, die Erwartungen. Grund für seinen Pessimismus ist das im Sommer auf Eis gelegte Klimagesetz in den USA. „Keiner wird etwas unternehmen, solange die USA nicht am Verhandlungstisch sitzen.“ Erst in einer möglichen zweiten Amtsperiode von Barack Obama ab 2012 sei ein multilaterales REDD-Abkommen denkbar. Obwohl also noch nichts fix ist, haben bei der UN-Klima- und Waldkonferenz in Oslo im Mai 2010 bereits 60 Staaten interimistische REDDplus-Partnerschaften angekündigt.
Business Council macht Dampf
Das einflussreiche World Business Council for Sustainable Development WBCSD macht Druck. Im WBCSD sind die CEOs von rund 200 weltweit agierenden Unternehmen in Sachen Nachhaltige Entwicklung organisiert. Die Regierungen, die den ebenfalls in Kopenhagen beschlossenen Green Climate Fund ab 2020 mit 100 Mrd. Dollar speisen sollen, mögen auch die Unternehmen einbeziehen. „Um die Klimaerwärmung um zwei Grad bis 2050 einzubremsen, müssen in den nächsten 20 Jahren jeweils zwei Billionen Dollar in Infrastruktur investiert werden“, ließ WBCSD-Präsdient Björn Stigson 40 Finanzminister bei einem Treffen im September in Genf wissen. Bei der UN Convention on Biological Diversity im japanischen Nagoya am 25. Oktober legte der WBCSD den Bericht „Effective Biodiversity and Ecosystem Policy and Regulation“ vor, um ein gemeinsames Marschieren von Wirtschaft und Politik zu erfolgreicherem Umweltschutz zu ermöglichen.
Mittlerweile steigen auch Öl- und Gasindustrie in die Forest Deals ein. Beim jüngst beschlossenen Rimba Raya Projekt in Indonesien erhoffen sich die Financiers Shell, Gazprom und die Clinton Foundation hunderte Millionen Dollar an Carbon Credits durch ein künftiges international geltendes REDD-Handelsschema. Auf der Insel Borneo wurde ein 100.000 Hektar großes Torf- und Waldgebiet unter Schutz gestellt, 75 Mio. Tonnen Kohlendioxid-Emissionen sollen damit in den nächsten 30 Jahren eingespart werden.
Von den 18 Prozent CO2-Ausstoß, die Abholzung und Entwaldung weltweit verursachen, ist allein Lateinamerika als größtes Regenwaldgebiet für 42 Prozent verantwortlich. Laut Laurent Debroux, Spezialist der Weltbank für Lateinamerika und die Karibik, ist nun die Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten an REDD und deren Instrumenten interessiert. Die Forest Carbon Partnership Facility der Weltbank bringt hier Geber und Empfängerländer zusammen und hat 120 Mio. Dollar bereitgestellt. Die Weltbank positioniert sich über ihr Forest Investment Programme als Vermittler, indem sie REDD-Projekte managt, solange es keinen internationalen Mechanismus für REDD gibt. 37 Staaten, etwa Guyana, Mexiko, Argentinien, Panama und Costa Rica wollen Zugang zu den Geldern.
Wachstum trotz Klimaschutz
Die Schlüsselrolle in Lateinamerika kommt aber Brasilien zu. Der neue Big Player der Weltwirtschaft schmückt sich und seinen Regenwald für Investoren wie Shell und Gazprom. Beim Gipfel in Cancún will der Amazonas-Staat sein Konzept für private Investoren der Weltöffentlichkeit präsentieren. Brasilien dürfte der weltweit größte Empfänger von REDD-Zahlungen werden. Fast zwei Drittel des Landes sind bewaldet, insgesamt geht es um eine Fläche fast so groß wie Spanien, rund 46 Mio. Hektar Wald: staatliche und private Forstgebiete sowie Urwälder. Gemäß der aktuellen Weltbank-Studie „Low Carbon Brazil“ kann Brasilien den Ausstoß an Treibhausgasen zwischen 2010 und 2030 um bis zu 37 Prozent verringern – ohne auf Wachstumsziele zu verzichten. Rund 40 Prozent aller im Land entstehenden Treibhausgase gingen auf Abholzung zurück. „Brasiliens REDD-Politik wird aber nur Bestand haben, wenn sie mit dem künftigen Weltklimarecht akkordiert wird“, gibt Thais Juvenal, die Direktorin von Brasiliens staatlicher Forstverwaltung, zu bedenken.
Auch die Papierindustrie steigt in die REDD-Deals ein. In Indonesien wurde Anfang Oktober das weltweit erste ausschließlich privat finanzierte REDD-Projekt beschlossen. Die auf Sumatra gelegene Halbinsel Kampar wird statt zu einer genehmigten Papierholzplantage zu einem Naturschutzgebiet. Als Partner fungieren dabei der Zellstoffmulti Asia Pulp & Paper APP und Carbon Conservation, ein asiatisch-australischer Anbieter von Kohlenstoffzertifikaten mit Sitz in Singapur. Durch den Verkauf von REDDplus-Zertifikaten aus der Kampar Carbon Reserve mit seinen 15.000 Hektar Torfschichten, die als Kohlenstoffspeicher fungieren, sollen Millionen Dollar lukriert und in lokale Entwicklungsprogramme gesteckt werden.
Umweltsünder kaufen sich frei
Manche Regenwald-Experten wie die US-amerikanische Rainforest Alliance sind sicher: Solche bilaterale Verträge machen enormen Druck auf die Vereinten Nationen, einen neuen globalen Klima-Deal unter Dach und Fach zu bringen. Doch nicht alle sehen REDD und den Handel mit Carbon Credits aus Regenwald als Allheilmittel. Zum einen könnten die Bauern, oder wer auch immer, direkt neben einem gerade unter Schutz gestellten Regenwald den benachbarten Wald unkontrolliert abholzen.
Und das wirtschaftliche Argument gegen REDD: Zertifikate aus Tropenwald-Schutz – und diese werden deutlich günstiger zu beschaffen sein als CO2-Einsparungen in der Industrie – erlauben reichen Ländern, sich billig freizukaufen, aber im eigenen Land weiter „schmutzig“ zu wirtschaften. „Ein schlechtes REDD-System ist schlechter für das Weltklima, die Wälder und deren Bewohner als gar keines“, warnten 40 Menschenrechts- und Umweltgruppen im April.
Andererseits, so Glenn Hurowitz von Avoided Deforestation Partners: „Ohne Kompensationen wie REDD kann ein strenges Klima-Gesetz in den USA nie durchgehen, weil die Kosten für Emissionsreduktionen ansonsten deutlich höher wären.“ 89 Prozent höher, so eine Analyse der US-Umweltschutzagentur EPA. Wenn Kompensationen, besonders durch Wälder, nicht eingeschlossen wären, gäbe es weniger strenge Emissionshöchstgrenzen. Den Kohle-Verbrennern sind die Kompensationszahlungen wohl immer noch lieber als ihre Fabriken herunterzufahren.
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